Sinnvoller Umgang mit den digitalen Medien finden

Die SonntagsZeitung hat einen Beitrag geschrieben mit der Überschrift „Okay, aber nur noch 15 Minuten!“, welcher weiter unten in voller Länge zu finden ist. Basierend auf dem Beitrag nehme ich für mich folgendes mit:

Unterstützung bei übermässigem digitalen Konsum von aussen ist wichtig. Das bedeutet, dass wir nicht einfach das digitale Medium (Smartphone, Computer) der anderen Person ignoriert, beschimpft oder wegnehmen, sondern immer wieder fragen, was sie da eigentlich so machen. Der Grundsatz muss sein: Ich kann es nicht verhindern, also schau ich extra genau hin. Und wie wäre es, auch vom eigenen Verhalten zu sprechen? Zuzugeben, dass man zu oft viele Stunden damit verbringt. Gemeinsam zu überlegen, welche Aktivitäten man einfach lassen oder dosiert nutzen kann. Folglich jetzt aufzuschauen und einfach ein Gespräch zu führen?

Ständiger Begleiter: An einem Wochenende verbringen Schweizer Teenager im Schnitt drei Stunden am Handy. (Foto Getty Images)
Quelle: SonntagsZeitung, 15. Januar 2023, Gesellschaft, Seite 52

«Okay, aber nur noch 15 Minuten!»


Wenn es um die Handynutzung ihrer Kinder geht, schauen viele Eltern fast schon schicksalsergeben zu. Dahinter steckt eine Mischung aus Bequemlichkeit und Unwissenheit, attestiert Meredith Haaf.

Es gibt eine Sache, die mir zunehmend Kopfzerbrechen bereitet, je älter meine eigenen Kinder werden und die um mich herum: Das ist die schicksalsergebene Art, mit der viele Eltern den Handygebrauch ihrer Kinder betrachten. Über sämtliche Bildungsschichten hinweg. Ab einem ziemlich frühen Alter.

Es ist paradox: Jahr für Jahr deuten neue Studien darauf hin, dass die sozialen Netzwerke bei vielen Menschen negative Gefühle, Selbstwertprobleme, Essstörungen auslösen; die Kommerzialisierung von Nutzerdaten kann kaum noch überblickt werden; Kinder werden im Netz zu Opfern von Cyberstalking und anderen Verbrechen. Und von Jahr zu Jahr verschiebt sich das Alter, in dem Kinder ein eigenes Smartphone bekommen, weiter nach vorne.

Der deutsche Ober-Digitalisierungs-Influencer Sascha Lobo berichtete auf Instagram vor ein paar Tagen stolz, dass er seinem anderthalbjährigen Sohn ein Smartphone zu Weihnachten geschenkt habe – schliesslich könne der ja schon einen Touchscreen bedienen.

Auch die Onlineverweildauer von Kindern und Jugendlichen hat sich stark erhöht. Gemäss dem Schweizer Infoportal «Jugend und Medien» nutzt bei den 6- bis 7-Jährigen bereits gut jeder dritte regelmässig das Handy. Bei den 12- bis 13-Jährigen sind es 76 Prozent. An einem normalen Wochentag verbringen Jugendliche im Schnitt drei Stunden am Handy, am Wochenende sind es vier Stunden.

Interessanterweise zeigt die europaweite Studie «KidiTiCo», die das Mediennutzungsverhalten von Kindern während der Pandemie untersucht hat, dass viele Kinder selbst das Gefühl hatten, es sei zu viel. Auch die meisten Erwachsenen kennen diesen unangenehmen Zustand. Warum tragen so wenige Eltern Sorge dafür, dass es bei ihren Kindern nicht so weit kommt?

Viele befreundete Eltern teilen mein Unbehagen nicht. Ab einem gewissen Alter gehörten Handys doch dazu. Kinder lernten so am besten, wie man damit umgehe. Warum sie künstlich von etwas abhalten? Ausserdem sei es einfach praktisch, und wir schreiben ja selbst Whatsapps. Und genau darin steckt vermutlich der Kern des Problems. Eltern beruhigen sich damit, dass sie es ja selbst genauso machen. Zudem ist es leichter, die Kinder machen zu lassen, als sie davon abzuhalten.

Schon klar, dass selbst exzessives Handy-Daddeln nicht tödlich ist. Aber, so sagt es der Kinder- und Jugendpsychologe Oliver Dierssen: «Das Ausmass an Gewalt und Trauma, das Kinder bedingt durch ihren Social-Media-Gebrauch erfahren, wird unterschätzt.» Laut seinen Beobachtungen erleben viele Jugendliche digital Belästigung, Missbrauch und Betrug.

Das Problem sei nicht die Nutzung an sich und auch nicht, dass Eltern ihren Kindern die digitale Teilhabe erlauben wollten. Sondern, dass es dabei schnell zu Überforderung komme: «Es ist einfach kein elterliches Bedürfnis, Social-Media-Nutzung zu kontrollieren. Es fehlt ihnen das Wissen, worauf sie achten müssen. Ausserdem wollen sie sich ausruhen, während das Kind beschäftigt ist.»

Das Resultat ist: Viele Eltern probieren es mit der «Passt schon»-Methode – bis sie sich unwohl fühlen und mit Verboten eingreifen. Beides führt zu Konflikten. Neulich erzählte ein befreundeter Vater von seinem Zwölfjährigen: Der habe leider keine Interessen ausser Basketball und seinem Handy. Er sei nicht ansprechbar, wenn er das Telefon in Reichweite habe. Angefangen habe das vor zwei Jahren, da sei er während des Lockdown völlig in Youtube versunken. Es fiel das Wort «süchtig», es wurde achselzuckend gelacht. Hätten wir genauso gelacht, wenn er erzählt hätte, dass das Kind sich durch den Lockdown gekifft habe?

Es gibt bei dem Thema unter vielen Eltern eine Art erlernte Hilflosigkeit, die sie sich in anderen Zusammenhängen wohl nicht erlauben würden. Das geht früh los: Die Dreijährige ist «süchtig» nach «Paw Patrol», die Vierjährige «braucht» immer ihre 20 Minuten Tablet-Zeit nach dem Kindergarten, der Sechsjährige «muss» im Restaurant auf dem Tablet Youtube gucken.

Obwohl immer wieder Studien und Medien anderes behaupten, gibt es «Handysucht» offiziell gar nicht. Es besteht also kein Grund, Panik zu schüren, wie es etwa der Psychologe Manfred Spitzer mit seinem viel beachteten, aber praktisch nicht wissenschaftlich belegten Schlagwort von der «digitalen Demenz» getan hat. Spitzer behauptete, dass Kinder durch ihren Medienkonsum daran gehindert würden, ihre kognitiven Fähigkeiten voll zu entwickeln, und sich deswegen auch Probleme wie Adipositas und schlechtere soziale Beziehungen ergäben. Kritik am Mediengebrauch von Kindern kann richtig sein, aber sie ist – wie in diesem Fall- leider oft unseriös und deshalb auch angreifbar.

Wenn es um das digitale Leben von Kindern geht, gibt es kaum etwas zwischen der Spitzer-haften Verteufelung und der Lobo-haften Turboaffirmation. Ein Grund für diese konstante Unschärfe ist, dass sich die Wirkung von Social Media nicht verallgemeinern lässt. Das betont die Kommunikationswissenschaftlerin Desiree Schmuck: «Negative Effekte von Social Media sind fast immer durch individuelle Faktoren beeinflusst.» Es gibt zwar viele Menschen, die sich nach langem Instagram-Scrolling müde und unbefriedigt fühlen. Aber es gibt auch Menschen, die aufstehen und einfach etwas anderes machen. Das hängt davon ab, was in der eigenen Psyche und in den Beziehungen sonst so los ist.

Desiree Schmuck hat in einer ihrer Studien auch Folgendes herausgefunden: «Je mehr Eltern das Gefühl des Kontrollverlusts in ihrem eigenen Handynutzen empfinden, desto mehr fürchten sie ihn auch bei den Kindern.» Und umgekehrt: Wer sich im Onlinegebrauch souverän fühle, habe auch keine Angst, bei den Kindern die Kontrolle zu verlieren. Belügen sich viele Eltern da nicht selbst? Schmuck widerspricht: «Da, wo die Eltern sagen, sie hätten keine Kontrolle über das Onlineverhalten des Kindes, bestätigen die Kinder, dass sie tatsächlich mehr negative Inhalte sehen und sich nicht unterstützt fühlen.»

Unterstützung von den Eltern aber ist das Wichtigste für Kinder. Das bedeutet, dass man nicht einfach das Handy des Kindes ignoriert oder beschimpft, sondern immer wieder fragt, was sie da eigentlich so machen. Der Grundsatz muss sein: Ich kann es nicht verhindern, also schau ich extra genau hin. Und wie wäre es, auch vom eigenen Handyverhalten zu reden? Zuzugeben, dass man zu oft draufschaut. Gemeinsam zu überlegen, welche Kommentare und Bilder man auch einfach lassen kann. Vielleicht kann das zu einem guten Vorsatz im neuen Jahr werden: aufzuschauen, Handy auszumachen und einfach ein Gespräch zu führen?

SonntagsZeitung, 15. Januar 2023, Gesellschaft, Seite 52